Wasser hat keine Balken

Wochenendtour auf der Unterelbe

Aus einer fröhlichen, schnellen und durchaus anspruchsvollen Elbtour wurde unversehens ein größeres Drama. Deshalb fällt dieser Fahrtenbericht etwas ungewöhnlich aus - mehr faktenbasiert, weniger erzählerisch. Ohne abschrecken zu wollen, denke ich, ist es auch für andere gut zu hören, in welchen Situationen auch erfahrene Paddler sich plötzlich wiederfinden können, trotz guter Bedingungen und ordentlicher Planung:
Am Samstag, den 20. Juli 2019, befanden wir uns zu siebt auf einer Tour auf der Unterelbe von der Elbinsel Lühesand nach Glückstadt und zurück (2 x 25 Kilometer). Geplant war eine Fahrt mit dem ablaufenden Wasser vormittags über die Pagensander Nebenelbe mit Abwarten des Tidenkipps in Glückstadt und Rückfahrt nachmittags mit auflaufendem Wasser über den Hauptstrom der Elbe. Strömungsvorhersage für den Ebb- bzw. Flutstrom lag nach diversen Quellen bei 4-7 km/h in der Spitze.
Die Wettervorhersage vor Beginn der Fahrt ergab für die Hinfahrt heiteres Wetter, kein Niederschlag bei 2-3 Bft aus südlicher Richtung, also Rückenwind. Für den Nachmittag wurde zunächst heiteres Wetter mit auffrischendem Wind (3-4 Bft) aus Süd bis Südwest - also Gegenwind vorhergesagt. Für den Abend bzw. späten Nachmittag waren Schauer und eventuell Gewitter vorhergesagt. Aufgrund dieser Vorhersage entschied der Fahrtenleiter die Tour wie geplant durchzuführen mit einem strammen Zeitplan für die Rückfahrt, um möglichst vor eventuellen Unwettern zurück auf Lühesand zu sein.
Während der Pause in Glückstadt zeigte sich ein verändertes Lagebild, da die Wetterberichte inzwischen eine konkretere Unwetter- und Sturmvorwarnung für den Nachmittag anzeigten. Der Beginn der Warnzeit variierte jetzt zwischen 14 und 18 Uhr. Fahrtenleiter und Teilnehmer*innen beschlossen, unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten (Bleiben, Routenänderung, Teilabbruch), sich auf den Rückweg zu machen und die Abwetterung unterwegs als konkrete Alternative in Betracht zu ziehen.
Die Rückfahrt verlief zunächst plangemäß von der Glückstädter Nebenelbe in den Hauptstrom, wo durch den auffrischenden Gegenwind in Kombination mit der auflaufenden Flut vermehrte Wellenbildung entstand. Aufgrund der mentalen Anspannung einiger Teilnehmer bei ständigen Kurskorrekturen im Kabbelwasser, entschied sich der Fahrtenleiter nach Rücksprache mit der Gruppe die Fahrt durch die Pagensander Nebenelbe (wegen des Vorteils der Windabdeckung durch die Insel Pagensand) der Fahrt durch den Hauptstrom (und den Vorteil durch die schnellere Tidenströmung) vorzuziehen. In diese Planung ging auch der Beschluss ein, beim Trittstein auf Pagensand in der Höhe der Pinnau-Mündung eine Pause einzulegen. Die Fahrt durch den Nebenstrom war in der Tat windärmer. Der geplante Pausenplatz konnte aber wegen noch niedrigem Wasserstand und ausgedehnten Schlickflächen nicht erreicht werden. So wurde eine Pause auf dem Wasser eingelegt, die auch noch den Vorteil bot, durch den Tidenstrom ohne Paddeln Fahrt zu machen. Zu diesem Zeitpunkt wurde erstmals eine Wolkenwand westlich der Elbe als potentiell bedrohlich wahrgenommen.
Die Gruppe nahm die Fahrt wieder auf. Vor der Rückkehr auf den Hauptstrom wurde deutlich, dass schlechtes Wetter im Anzug war. Konkrete Anzeichen wie Windauffrischen, Donner oder Blitze fehlten allerdings. Die Gruppe beschloss, ihre Fahrt zu beschleunigen, um möglichst vor einem Unwetter nach Hause zu kommen. Einer bereits zuvor diskutierten frühen Stromquerung der Elbe auf die Stader Seite (mit dem Vorteil auf der "richtigen" Seite zu sein, im Verhältnis zum Zeltplatz Lühesand) erteilte der Fahrtenleiter zu dieser Zeit eine Absage, da die Stader Seite von Schwerindustrie mit Hafenanlagen, auf Reede liegenden Schiffen geprägt ist und über den Mündungstrichter der Lühesander Nebenelbe eine weitere große Wasserfläche auf dem schnellsten Heimweg gequert werden musste. Kurz nach Einfahrt in den Hauptstrom stand die dunkle Wolkenwand direkt über Stade, während Lühesand noch in der Sonne lag. Hier bot sich noch die Hoffnung, auf der Ostseite des Stroms zumindest auf Höhe des Zeltplatzes zu gelangen und dem drohenden Unwetter "davonzulaufen". Außer der Wolkenwand fehlten alle weiteren Anzeichen des drohenden Einsetzens des Unwetters.
Kurz vor Höhe der Tonne 104 war klar, dass das Unwetter die Gruppe erreichen würde, bevor der "Heimweg" nach Lühesand geschafft wäre. Der Fahrtenleiter entschied daraufhin, die Elbe sofort zu queren mit Kurs auf das Leuchtfeuer südlich der Schwingemündung um dann in die (eher geschützte) Schwinge einzulaufen und ggf. beim KV Stade aussetzen und abwettern zu können.
Kurz nach Beginn der Querung frischte der Wind aus West merkbar auf (schätzungsweise 5-6 Bft). Die Wellen wurden kurz und steil und bekamen deutliche Schaumkronen. Die Fahrt gegen Wind und Wellen wurde stark erschwert. Einige Teilnehmer äußerten später, sie seien kaum noch gegen Wind und Wellen angekommen. Vor der Gruppe unter Land auf Stader Seite näherten sich ein Passagierschiff aus Richtung Hamburg und ein Segler aus Richtung Cuxhaven der Schwingemündung. Der plötzlich auffrischende Wind ließ beim Segler die Segel killen. Der Fahrtenleiter beschloss daraufhin die Querung abzubrechen, in der Hoffnung, noch den näher gelegenen Trittstein Auberg (bzw. generell das Ufer) auf der Ostseite des Stroms zu erreichen. Ein Teilnehmer war der Gruppe ca. 50 Meter voraus und konnte nur mit Mühe durch mehrfaches Rufen und Pfeifen auf den Umkehrbeschluss aufmerksam gemacht werden. Durch den zunehmenden Wind wurde die Manövrierbarkeit der Boote stark beeinträchtigt und das Wenden gelang nur unter Schwierigkeiten. Der Wind wurde stärker und böiger. Die Gruppe wurde jetzt mit Rückenwind auf das 100-150 Meter entfernte Ufer zugetrieben, Boote kamen unkontrolliert ins Surfen. Dies resultierte in einer Kollision und anschließender Kenterung von einem Teilnehmer.
Ein anderer Teilnehmer war in unmittelbarer Nähe, konnte aber nicht mehr helfend eingreifen, sondern wurde durch den Wind zum Strand getrieben. Alle Teilnehmer außer dem Fahrtenleiter und der gekenterten Person (KP) waren jetzt auf Uferkurs. Der Wind frischte jetzt erneut merkbar und böig auf (geschätzt 8 Bft, Böen vielleicht stärker) und auch die Sicht wurde deutlich schlechter. Die kurzen steilen Wellen von achtern (geschätzte Höhe ca. 1m, Länge ca. 3m) hinderten den Fahrtenleiter daran, die ca. 5 Meter Backbord querab treibende gekenterte Person auf direktem Wege zu erreichen. Die gekenterte Person behielt die Ruhe, gab an, sich in der Paddelsicherung verheddert zu haben und hatte eine ungünstige Lage im Lee ihres Bootes, das sie im heftigen Seegang zu überrollen drohte. Der Fahrtenleiter versuchte sich mehrfach ihr zu nähern. Da Wenden oder Seitversetzen nicht möglich war, durch Rückwärtspaddeln gegen die sich brechenden Wellen, um sich ihr dann aus Windrichtung zu nähern. Dies gelang erst beim 3. oder 4. Versuch. Derweil versuchte die gekenterte Person zweimal erfolglos, ihr Boot wieder auf Kiel zu legen und einmal einen erfolglosen "Cowboy-Wiedereinstieg". Der Fahrtenleiter in ständiger Gefahr selbst zu kentern, erreichte sie schließlich, konnte das gekenterte Boot greifen und stabilisieren. Die gekenterte Person konnte ihr Boot aufrichten und schließlich per Heelhook einsteigen. Durch die ständig über den Booten brechenden Wellen lief das verunglückte Boot schnell voll. Der Versuch, die Spritzdecke wieder zu schließen, misslang, so dass auch an ein Auspumpen nicht zu denken war. Zu dieser Zeit war das Unwetter in vollem Gange mit heftigem Wind, Sturmböen und jetzt auch mit Gewitterzeichen und Sichtweite unter 20 Meter. Beide beschlossen, dass alles andere, als sich von den Wellen ans Ufer treiben zu lassen, nicht möglich war. Gegen 16:30 Uhr erreichten sie knöcheltiefes Wasser am Bishorster Sand und konnten die Boote ins Uferschilf ziehen.
Anschließend versuchte die gekenterte Person per Handy die Seenotrettung zu erreichen. Unter großen Verständnisschwierigkeiten über mehrere Gespräche mit wechselnden Partnern wurde von der DGzRS (Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger) an die Einsatzstelle Stade delegiert und von dieser mehrfach Hilfe zugesagt. Das Handy begann in Regen und Seewasser zu versagen. Der Rest der Gruppe konnte erreicht werden. Es stellte sich heraus, dass alle sieben Teilnehmer an Land waren. Eine Gruppe aus fünf Teilnehmern sowie dem Kenterpärchen eine unbestimmte Strecke flussaufwärts.
Die Seenotrettung zeigte sich jedoch nicht in der Nähe, trotz mehrerer Einsatzboote im beobachteten Bereich und Winkens mit einem orangenen Poncho (wie telefonisch mitgeteilt). Später nach Wiedervereinigung der Gruppen stellte sich heraus, dass die Fünfergruppe, im Glauben alles sei ok, die Rettung abbestellt hatte. Dieser Gruppe hatte man darüber hinaus mitgeteilt, dass die Rettung durch Zuständigkeitsprobleme (Leitstellen zweier verschiedener Bundesländer) erschwert werde. Eine Rückmeldung der Retter beim Kenterpärchen über den abgebrochenen Einsatz unterblieb.
Die zweite Gruppe erreichte unbeschadet das Ufer am Bishorster Sand, wenn auch zunächst auseinandergerissen. Die Teilnehmer der Fünfergruppe benachrichtigten direkt nach der Anlandung die lokale Rettung, die nach ihrer Beobachtung überraschend schnell ausrückte.
Ein Boot fuhr aus der Stader Mündung zunächst stromaufwärts auf der Stader Seite. Im Fahrwasser war ein aus Hamburg kommender großer Containerfrachter, den sie stromaufwärts umrundet haben, zu sehen. Ein Teilnehmer versuchte telefonisch die Höhe der Kenterung bzw. den Standort der Gruppe zu vermitteln. Zu diesem Zeitpunkt mussten sie davon ausgehen, dass die Gekenterten sich unter Umständen handlungsunfähig am Rand des Fahrwassers befinden. Etwas später erreichte der Fahrtenleiter die Fünfergruppe telefonisch und berichtete, sie seien zu zweit am Ufer angetrieben/gelandet. Da die Rückmeldung keine Hinweise auf weitere benötigte Hilfe enthielt, wurde die Rettungsstelle entsprechend informiert. Nachfolgend erreichten mehrere Rückrufe der Leitstellen die Fünfergruppe, um sich nach der Situation zu erkundigen. Die mehrfach versuchte Kontaktaufnahme mit den Gekenterten klappte erst nach einiger Zeit.
Kurz nach 17 Uhr hatte das Unwetter soweit nachgelassen, dass telefonisch die Weiterfahrt vereinbart wurde. Der Rettungsleitstelle wurde definitiv die wiedererlangte Seetüchtigkeit gemeldet. Um ca. 17:30 Uhr konnte die Fahrt über die letzten fünf Kilometer von allen wieder aufgenommen werden.

Soweit unser Elb-Drama. Wir sind froh über das Happy End mit gesunder Heimkehr aller Beteiligten. Letztendlich haben wir doch einen Großteil unseres Wochenendes genossen. Der Wermutstropfen Seenot kann jetzt Anlass dazu geben, sich mit unschönen und komplizierten Situationen auf See zu beschäftigen, um sie künftig vermeiden oder besser meistern zu können. Wir sind uns jedenfalls einig, viel gelernt zu haben.

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